Während im Haus des Handwerks noch Tapeten abgerissen und Wände getüncht werden, Kunst und Möbel die Treppen hochgeschleppt werden und die ersten Graffiti von Mrs. und Mr. Balloon schon erahnen lassen, wie dieses eigentlich dem Abbruch freigegebene Haus am Ende der Woche aussehen wird, wird unten im ehemaligen Wettbüro auf der Friedrich-Ebert-Straße 90 bereits Bier vom Brauprojekt 777 ausgeschankt. „KSL 2017: Wir sind die Ersten“, ruft Volker Bellingröhr vom Folktrio Pont Neuf.
Zusammen mit Thomas Baumann, Stefan Lücking und den üblichen Dutzenden von Instrumenten steht er inmitten von Picknickdecken und Bierbänken: Eine Woche lang ist das Wettbüro der zentrale Veranstaltungsort des Abendprogramms von Kunst statt Leerraum, aber Bühne und Bestuhlung im klassischen Sinne gibt es natürlich nicht. Wie im Haus des Handwerks lebt der Ort vom Kontrast des Verlassenen, Aufgegebenen und sich Zurückgenommen, Neubelebten. Auf der nicht mehr ganz weißen Wand flimmert in Endlosschleife „KSL vergiftet“, das gif-Video von Wittek über die KSL-Woche 2016. Erinnerung und Vorgeschmack, wie es wieder werden kann, wenn 45 Künstler ihr kreatives Potenzial zusammen bringen. Musik steht am Anfang des Abends, danach zählt das gesprochene Wort.
Joseph Rüffert und Tobias Reinartz moderieren den von der Stadtbibliothek Dinslaken unterstützten KSL-Poetry Slam. Die Mitwirkenden komen aus dem ganzen Ruhrgebiet, Slammer Moewenseele ist sogar aus Hamburg angereist. So unterschiedlich ihre Temperamente sind, so überraschend homogen sind ihre Textbeiträge in der ersten Runde: Ausgerechnet an einem Veranstaltungsort, wo an der Tür noch ein bedeutungslos gewordenen „Zutritt für Personen unter 18 Jahren verboten“-Schild klebt, setzen sie sich mit dem Alter auseinander. Felizitas Friedrich wirft einen Blick auf einen attraktiven Typen, der sich mit seinem Geburtsjahrgang 2000 als viel zu jung und bereits aus einer ganz anders aufgewachsenen Generation als die Studentin selbst entpuppt. Roberto Albrecht wünscht sich seine Kindheit zurück bis er erkennt, dass dieses Kind mit seinen Erinnerungen und Erfahrungen auch heute noch in ihm lebt. Und Zwergriese fragt sich, wo zwischen dem Streben nach Sicherheit und der Erschöpfung am Ende des Arbeitstags noch Platz für Träume ist. „Wir wollen mehr sehen im Leben als 16:9“, bricht er aus der abgestumpften Gewohnheit des vorgeblichen Erwachsenseins aus. So wie Moewenseele es schafft, „eine beliebige Trennung von der Exfreundin zu vollziehen“, Lena Richard vor ihrer Freundin die Masken fallen lässt und Jan Bühl-Becker nur zur Bundeswehr geht, um dort den Kommandanten klar zu machen, dass es auch bei Befehlen ein Zeichen des guten Tons ist, „bitte“ zu sagen.
Die zweite Runde, thematisch zwischen „Heimat“ und „Pornographie“ angesiedelt, verstärkt den Trend der ersten Runde: Felizitas Friedrich und Zwergriese werden vom Publikum ins Finale gepunktet. Pont Neuf lässt musikalisch die Whiskey-Gläser durch den Raum sausen.
Und dann heißt es „Hinaus in die Nacht, um zu fühlen“ gegen „Hinauf auf die Slam Bühne, um sich zu verändern und neu zu erfahren“. Mit ihrer wortgewandten, rhythmisch-pulsierenden Hymne ans doch nicht so erfüllte Nachtleben setzt sich die Bochumerin durch. Für die Gewinnerin gibt es ein Sixpack vom Brauprojekt. Felizitas Friedrich strahlt: „Der Preis gefällt mir.“
Quelle: NRZ